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Schülerschaft, die auf dem Schulhof in Eile sind

Die Bedeutsamkeit einer partizipativen Schulkultur - "Das Warum"

Die Herausforderungen der Zukunft sind zu komplex, als dass ihnen im Alleingang begegnet werden könnte. Daher wird es immer wichtiger, Möglichkeiten der Mitsprache, Mitgestaltung und Mitbestimmung zu eröffnen, partizipationsfördernde Strukturen zu etablieren und so einen Gegenpol zu direktiv-autokratischen Tendenzen zu setzen, die oftmals die scheinbar einfachsten Lösungen präsentieren. Partizipation ist eines der grundlegendsten demokratischen Prinzipien und sie zu ermöglichen ein zentraler Bildungsauftrag. Zudem bietet sie eine ideale Gelegenheit zur Verantwortungsübernahme, Selbstbefähigung und Selbstwirksamkeit und fördert die Wahrnehmung (im doppelten Wortsinn) einer gemeinsamen Verantwortung für die Entwicklung eines Bildungssystems, in dem Entscheidungen nicht „top-down“ gesetzt und kommuniziert werden, sondern von allen am Schulleben beteiligten Interessensträgerinnen und -trägern („Stakeholder“) gemeinsam getroffen werden. Besonders im Hinblick auf Schülerinnen und Schüler zahlt dies auf die Entwicklung einer „student agency“ ein, also auf die Fähigkeit, sich ein Ziel zu setzen, zu reflektieren und verantwortlich zu handeln, um Veränderungen herbeizuführen. Somit werden Lernende neben Schulleitungen und Steuergruppen selbst zu Akteurinnen und Akteuren des systemischen Wandels. Unterstützt werden sie dabei im Idealfall durch ihre Umgebung und die systemischen Strukturen, der sogenannten „co-agency“ (vgl. OECD-Lernkompass 2030, 16, 20).

Schulkultur partizipativ gestalten - Das "Wie"

Ein umfassender, zielgerichteter Schulentwicklungsprozess sollte auf die Wechselwirkung von student-agency und co-agency abzielen, indem er auf Partizipationsmöglichkeiten insbesondere für Schülerinnen und Schüler fokussiert. Das führt gleichzeitig fast automatisch dazu, dass sich auch das Umfeld unterstützend entwickelt, da es den Bedarfen und Wünschen vieler Stakeholder mehr und mehr Rechnung trägt und im Umkehrschluss durch die so erlebten Wirksamkeitserfahrungen wiederum die Beteiligungsmotivation der Lernenden fördert. Somit entsteht eine Dynamik, die durch eine zielgenaue Ausrichtung und konzeptionelle Zusammenführung aller schulischen Aktivitäten ein immenses Innovationspotential entfalten kann. Im Folgenden sollen einige wesentliche Elemente und Ansätze einer partizipativen Schulentwicklung angerissen werden.

Wesentliche Grundprinzipien für eine partizipative Schulkultur

  1. Ganzheitliche Schulentwicklung
    Im Rahmen eines Whole School Approach (WSA) wird die Schule als ein Gesamtsystem betrachtet, das über klassische Entwicklungsfelder wie Unterrichts-, Personal- und Organisationsentwicklung hinausgeht. Es sind auch präventionssensible und partizipative Strukturen, offene Kommunikationswege und eine lebendige Kooperationskultur wichtig.
  2. Transparenz und Vertrauen
    Eine offene, transparente Kultur stärkt das Vertrauen der Beteiligten in die Schulleitung und den Schulentwicklungsprozess. Es wird klar kommuniziert, warum und wie Entscheidungen getroffen werden. Dies schafft ein Umfeld, in dem jede Stimme gehört wird und ein gegenseitiges Vertrauen entsteht.
  3. Verantwortungsübernahme und Mitgestaltung
    Partizipation bedeutet mehr als Mitsprache: Es geht um aktive Mitgestaltung und Verantwortung. Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte und Eltern sollen sich verantwortlich für die Entwicklung der Schule fühlen und in Entscheidungsprozesse eingebunden werden. So entwickeln Lernende die Fähigkeiten, die sie für eine aktive gesellschaftliche Teilhabe benötigen.

Strategien für den Aufbau einer partizipativen Schulkultur

  1. Einbindung von Beteiligungsformaten
    Um eine lebendige Partizipation zu gewährleisten, bieten sich verschiedene Beteiligungsformate an, wie etwa Schulparlamente, Klassenräte und die Stärkung gesetzlicher Beteiligungsgremien für Schülerinnen und Schüler, Eltern und Lehrkräfte. Durch regelmäßige Foren und Arbeitskreise können alle Mitglieder der Schulgemeinschaft ihre Ideen einbringen. Diese Formen der Partizipation im Schulleben können einen wichtigen Beitrag zu Demokratie- und Selbstwirksamkeitserfahrungen leisten.
  2. Projektorientierte und fächerübergreifende Lernsettings
    Eine wirksame Demokratiebildung wird durch projektorientiertes, fächerverbindendes Arbeiten gefördert. Lernende arbeiten an realen, gesellschaftlich relevanten Themen und entwickeln dabei multiperspektivische Lösungsansätze. Das ermöglicht authentische Erfahrungen und fördert das selbstständige Denken und Handeln.
  3. Förderung einer aktiven Feedbackkultur
    Eine transparente und wertschätzende Feedbackkultur ermöglicht es, unterschiedliche Perspektiven aufzunehmen, Verbesserungen gemeinsam zu erarbeiten und somit eine zivilisierte Streitkultur zu erfahren. Offene Feedbackgespräche und Evaluationen machen Entwicklungserfolge sichtbar und stärken das Gemeinschaftsgefühl.
  4. Agil-iterative Verfahren in der Schulentwicklung
    Schulentwicklungsprozesse können durch flexible, iterative Verfahren dynamisch gestaltet werden. Schulen sollten so angelegt sein, dass die am Schulleben Beteiligten auf neue Herausforderungen und Ideen reagieren können.

Eine partizipative Schulkultur ist nicht nur ein Weg zu mehr demokratischer Beteiligung, sondern trägt auch zur Bewältigung der Herausforderungen unserer Zeit bei. Indem sie Schulen als lernende Gemeinschaften stärkt, wird sie zum Motor für Innovation und nachhaltige Entwicklung im Bildungswesen.

Good Practice-Beispiele

Demokratie im Kreisverkehr

Ein partizipativer Gestaltungsprozess der Laborschule Bielefeld

Kreisverkehr mit einer blauen Seeschlange in der Mitte

Wie kommt die Seeschlange in die Stadt?

Wieso ist das ein Demokratie-Projekt?

Was konnten die Schülerinnen und Schüler der Laborschule erreichen und wie haben sie sich selber dabei erlebt?

Auf diese Fragen gibt die Kurzvorstellung Demokratie im Kreisverkehr Antworten.

Im Rahmen einer Kooperation zwischen der Stadt, insbesondere dem Bezirksparlament Schildesche, durfte die Laborschule einen Gestaltungsvorschlag für einen nahegelegenen Kreisel entwickeln. Das Kreiselprojekt wurde im Kunstunterricht aufgegriffen und bearbeitet.

Zunächst wurde Basiswissen zum Thema Streetart vermittelt. Anschließend  bildeten sich mehrere Gruppen, die ihre Idee zunächst aufs Papier brachten und dann Ton- oder Drahtkonstrukte erstellten, um nochmals zu schauen, inwiefern das Layout umsetzbar war.

Dann wurde die gesamte Schulgemeinschaft in einem demokratischen Prozess einbezogen. Es fanden Vorstellungen, Diskussionen und schließlich die endgültige Abstimmung statt.

Dabei durften alle Mitglieder der Schulgemeinschaft wählen (insgesamt ca. 830 Personen). Es gab zwei Abstimmungen.
Die erste sollte die drei meistgewählten Entwürfe auswählen. Von den ungefähr 20 Entwürfen wurden ein Regenbogen, ein Wegweiser und die Seeschlangen ausgewählt. Hier die Ergebnisse der Stichwahl:

  1. Seeschlange  229 Stimmen
  2.  Regenbogen 107 Stimmen
  3.  Wegweiser    88 Stimmen

Mit diesen Ergebnissen gingen die beteiligten Schülerinnen und Schüler mit den SV-Sprechern  zur Bezirksvertretung in Bielefeld-Schildesche. Dort waren sie bereits ein halbes Jahr zuvor gewesen, um ihre grundsätzliche Idee vorzustellen. Zu diesem Zeitpunkt gab es noch keine konkreten Entwürfe, aus denen die Bezirksabgeordneten wählen konnten, aber grünes Licht für die Idee, die Gestaltung des Kreisels in die Verantwortung der Schülerinnen und Schüler der Laborschule zu legen. Beim zweiten Mal wurden die drei Gestaltungsvorschläge mit den meisten Stimmen präsentiert und das gesamte Verfahren der Mitbestimmung an der Schule erläutert. Die Bezirksvertretung schloss sich dem Votum der Laborschule an und wählte ebenfalls die Seeschlange für den zu gestaltenden Kreisverkehr aus.

So wurde dann ein Fachbetrieb beauftragt, die Seeschlange nach den Plänen der Schule zu entwerfen, zu gestalten und aufzubauen. 2020 wurde die Seeschlange in die Freiheit entlassen und schmückt seitdem einen Kreisverkehr in der Nähe der Schule.

Es war für die Schülerinnen und Schüler eine besondere Erfahrung, einen Einblick in die Politik zu bekommen und selbst ein Teil davon zu sein. Sie hatten das Gefühl, wahrgenommen zu werden und auch im bereits im jungen Alter ihre Lebenswelt mitgestalten zu können. 

Die beteiligten Schülerinnen und Schüler gewannen mit diesem Projekt zudem den Preis des Historischen Museums der Stadt Bielefeld zum Thema „Ich bestimme mit! Schüler machen Demokratie“. 

Rainer Devantié, Ulrich Hartmann

Laborschule Bielefeld

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