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Sprachsensibler Fachunterricht

Frau spricht, Buchstaben kommen aus dem Mund

Sprachsensibler Geschichts- und Politikunterricht

Sprachliches und inhaltliches Lernen sind eng miteinander verbunden. Schülerinnen und Schüler müssen in der Lage sein, bildungssprachliche Strukturen sowohl in der mündlichen als auch der schriftlichen Auseinandersetzung mit fachlichen Gegenständen anzuwenden.

Ausgangspunkt ist zunächst das Verstehen und Sprechen in der Alltagssprache. Im nächsten Schritt gilt es, die Schülerinnen und Schüler gemäß den KLP zu befähigen, dies angemessen in der Fachsprache tun zu können, in einer Fachsprache verfasste Texte verstehen zu können und sich selbst mündlich und schriftlich in einer Fachsprache ausdrücken zu können. Sprachsensibler Fachunterricht soll die Schülerinnen und Schüler dazu befähigen, historisches Denken sprachlich ausdrücken zu können und begnügt sich nicht mit einer semantischen Anreicherung des Wortschatzes.

Literatur:

Ministerium für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen (Hg.) (2020): Referenzrahmen Schulqualität NRW. Schule in NRW Nr. 9051. Düsseldorf.

Vgl. "Sprachsensibler Fachunterricht" Schulentwicklung QUA-LiS NRW.

Karikatur Dein Vater Hartz IV

Plassmann, Thomas: "Dein Vater Hartz IV" (mit freundlicher Genehmigung des Karikaturisten)

Beispiel 1: Eine Frau in einem Klassenzimmer spricht mit einem Jungen. Sie tippt ihn an und sagt: „Dein Vater… Hartz IV?!... Schade! … Hätte echt was aus dir werden können, Kevin!"

Beispiel 2: „Eine Lehrerin guckt in ihr Notenheft und sagt Kevin, dass aus ihm nichts werden kann. Kevin ist traurig."

Beispiel 3: „Die in der Karikatur dargestellte Situation findet in einem Raum statt, in dem sich eine Tafel, ein mit Heften und Stiften bedeckter Tisch, ein Stuhl und zwei Personen befinden. Auf dem Stuhl sitzt eine Frau, die sich mit ausgestreckten Arm einem Jungen zuwendet, der neben dem Tisch steht und ihm sagt: „Dein Vater… Hartz IV?!... Schade! … Hätte echt was aus dir werden können, Kevin!“ Während der Gesichtsausdruck der Frau neutral scheint, sind die Augen des Jungen weit geöffnet und die Augenbrauen hochgezogen. Die beiden Personen stellen eine Lehrerin und einen Schüler dar, erkennbar am Ort des Geschehens: Ein Klassenraum. Gestik und Mimik der Lehrerin können von resignierender Akzeptanz bis zu zynischer Gleichgültigkeit bezüglich des Status quo im deutschen Bildungssystem gedeutet werden. Die Mimik des Schülers kann ein emotionales Spektrum von Schock bis Überraschung zum Ausdruck bringen. Die der Sprechblase zu entnehmende Äußerung der Lehrerin deutet in Kombination mit der Bildunterschrift auf eine Kritik des Karikaturisten an einer im Bildungssystem begründeten Benachteiligung von Kindern aus prekären sozioökonomischen Lebensbedingungen hin. Ferner kritisiert der Karikaturist eine mangelnde Durchlässigkeit sozialer Schichten."

Beispiel 1 zeigt, dass der oder die Verfasserin das Bild zwar in Ansätzen beschreiben kann, jedoch eine Deutungsebene nicht ansatzweise erreicht wird. Fachterminologie aus dem Themenbereich Schule und Gesellschaft findet keine Anwendung. Beispiel 2 illustriert, dass der schulische Kontext des Geschehens zwar erkannt wird, dass aber weder eine vertiefende Beschreibung der dargestellten Situation gelingt, noch eine Deutungsebene erreicht wird, die auf die Intention der Karikatur verweist. Beispiel 3 führt vor, wie der oder die Verfasserin unter Rückgriff auf Fachsprache die dargestellte Situation korrekt erfasst und auch in Worten wiedergeben bzw. versprachlichen kann.

In der Unterrichtsdurchführung ist zu beobachten, dass Schülerinnen und Schüler gut in der Lage sind, sich mit ihrer Alltagssprache zu verständigen. Im Fachunterricht ist hingegen zu beobachten, dass die Fähigkeiten im Bereich der Bildungssprache nicht ausreichen, um dem Unterricht inhaltlich folgen. Sich adäquat zu beteiligen und schließlich die Schule erfolgreich abschließen zu können. Der Bildungserfolg von Schülerinnen und Schülern hängt davon ab, wie die bildungssprachliche Kompetenz individuell ausgeprägt ist. Vielen Lernenden fällt es schwer, Sachtexte zu verstehen, selbstständig angemessene Texte zu verfassen oder Sachverhalte in mündlichen Beiträgen verständlich darzustellen. Dies trifft gleichermaßen auf einsprachig und mehrsprachig aufgewachsene Schülerinnen und Schüler zu.

Sprachsensibler Fachunterricht ist in den KLP aller Fächer fest verankert und nicht allein Sache des Faches Deutsch. An Schulen gibt es unterschiedliche Konzepte und Ansätze, wie Sprachförderung, Sprachbildung oder DaZ, die darauf abzielen, die sprachlichen Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler zu entwickeln. Das Land Nordrhein-Westfalen hat diese Ansätze unter dem Begriff des sprachsensiblen Fachunterrichtes zusammengefasst (vgl. Referenzrahmen Schulqualität).

In der Forschung wird zumeist der Begriff der Sprachbildung verwendet.

Sprachbildung leistet einen wichtigen Beitrag, Bildungsgerechtigkeit herzustellen. Sprach- und Ausdrucksvermögen dürfen nicht Hinderungsgrund für das fachliche Lernen sein.

In der Unterrichtsdurchführung ist zu beobachten, dass Schülerinnen und Schüler gut in der Lage sind, sich mit ihrer Alltagssprache zu verständigen. Im Fachunterricht ist hingegen zu beobachten, dass die Fähigkeiten im Bereich der Bildungssprache nicht ausreichen, um dem Unterricht inhaltlich folgen, sich adäquat zu beteiligen und schließlich die Schule erfolgreich abschließen zu können. Der Bildungserfolg von Schülerinnen und Schülern hängt davon ab, wie die bildungssprachliche Kompetenz individuell ausgeprägt ist. Vielen Lernenden fällt es schwer, Sachtexte zu verstehen, selbstständig angemessene Texte zu verfassen oder Sachverhalte in mündlichen Beiträgen verständlich darzustellen. Dies trifft gleichermaßen auf einsprachig und mehrsprachig aufgewachsene Schülerinnen und Schüler zu.

Mit der Sprachbildung ist das Prinzip der Durchgängigkeit verbunden, wonach das sprachliche Lernen spiralförmig erfolgt: Sprachliche Fähigkeiten sind einerseits Voraussetzung für das fachliche Lernen, andererseits werden sie durch die Aktivierung der Sprache im Rahmen des Verstehens und Formulierens im Fachunterricht erweitert. Unterrichtsgespräche und Kommunikation im Unterricht lassen sich bei zunehmender Bedeutung der Fachlichkeit nicht auf der Grundlage der Alltagssprache der Schülerinnen und Schüler führen.

Grundlage des sprachsensiblen Fachunterrichts: alltagssprachliche Fähigkeiten über die Entwicklung einer Bildungssprache zur Entwicklung der Fachsprache führen

Sprachliche Besonderheiten in den Fächern Geschichte und Politik

In den Fächern Geschichte und (Wirtschaft-)Politik vermitteln sich die Inhalte des Faches ausschließlich über Sprache: Quellen und Texte werden gelesen, Inhalte von Schaubildern werden in Texte überführt, Diskussionen werden vorbereitet und durchgeführt oder Notizen zu Präsentationen von Mitschülerinnen und Mitschülern werden angefertigt. Die Bereiche Lesen, Schreiben, mündlich Präsentieren und aktiv Zuhören sind hier angesprochen.

Die Fachsprache stellt Schülerinnen und Schüler dabei vor einige Herausforderungen:

  • Begriffe präsentieren ein Konzept: Demokratie, Monarchie, Wirtschaft
  • Begriffe beschreiben abstrakte Verhältnisse: Macht, Herrschaft, Reichtum
  • Begriffe stammen aus Bereichen, die den Schülerinnen und Schülern wenig vertraut sind: Produktionsverhältnisse, Dreifelderwirtschaft, Rentenspiegel, Zollverein
  • Begriffe haben eine andere Bedeutung als in der Alltagssprache der Schülerinnen und Schüler: Strom, Markt, Schutzschirm
  • Textsortenverständnis entwickeln
  • Umgang mit didaktisch verdichteten Texten
  • [...]

Erst durch eine regelmäßige Verwendung dieser Begriffe in konkreten Anforderungssituationen wird bei den Schülerinnen und Schülern nach und nach ein konzeptuelles Wissen aufgebaut (im Gegensatz zu einem reinen Faktenwissen), das für die Urteils- und Handlungsfähigkeit in den Fächern Geschichte und Politik nötig ist. Die korrekte Verwendung dieser domänenspezifischen Sprache „führt zu einer größeren Chancengleichheit unter den Lernenden und nutzt insbesondere Lernenden aus bildungsfernen` Schichten.“ (Vgl. Massing, Peter (2012): Die vier Dimensionen der Politikkompetenz. APuZ 46-47/2012, 25).

Schaubild: Wie plane ich meinen Unterricht sprachbildend?

Schaubild: Wie plane ich meinen Unterricht sprachbildend?

Schenk, Ina (2015): „Sprachbildung. Historisches Lernen ist auch immer sprachliches Lernen." In: Praxis Geschichte 6 (2015): Unterrichtspraxis SII.  (siehe Anhang).

Lesen, Sprechen, Schreiben, (Zuhören)

Lesen

In den Fächern Geschichte und Politik hat das Lesen einen zentralen Stellenwert: Schülerinnen und Schüler lesen und verstehen Quellen und Darstellungstexte, sie entnehmen Informationen oder verstehen Arbeitsaufträge und setzen diese handelnd um. Zumeist sind Informationen in Texten sehr verdichtet oder Wortwahl und Satzbau sind komplex, so dass Lernende Hilfen oder Lesestrategien benötigen, um Aufgaben bearbeiten zu können.

Konkrete Methoden zur Unterstützung (Auswahl)

  • sprachliches Vorwissen/Vorstellungen (sog. alltagssprachliche/individuelle Begriffskonzepte) (re-)aktivieren (über z. B. Titel, Thema, Schlüsselbegriffe des Textes)
  • unterschiedliche Begriffsbedeutungen/-konzepte thematisieren und erklären (gegenwärtige vs. historische/individuelle vs. fachliche Begriffskonzepte)
  • Fragen an Text formulieren und nach Lektüre beantworten
  • Text auf verschiedene Arten lesen (selektives, orientierendes, kursorisches, detailliertes und zyklisches Lesen)
  • zentrale/unbekannte (Schlüssel-) Begriffe finden, hervorheben, erklären
  • Glossar erstellen bzw. bereitstellen
  • Überschriften zu einzelnen Textteilen selbst formulieren bzw. vorgeben und zuordnen lassen
  • ungeordnete Textteile zusammenpuzzeln
  • Text kürzen/schwärzen, zusammenfassen und expandieren ((z. B. Überleitungen schreiben oder Aussagen ergänzen)
  • lineare Texte und nicht-lineare Text vergleichend lesen oder in die jeweils andere Darstellungsform übertragen
  • Rätsel, Lückentexte, Wahr-Falsch-Aussagen, Lügentexte bereitstellen bzw. erstellen

Schreiben

Schreibprozesse stellen komplexe Handlungssituationen für Schülerinnen und Schüler dar, die sich in die Phasen von Planung, Textproduktion und Überarbeitung gliedern. Sie orientieren sich an der Bildungssprache. Im Fachunterricht werden in Schreibprozessen neben dem Wissen um sprachliche, grammatikalische und syntaktische Grundlagen auch Besonderheiten des fachlich geprägten Wortschatzes und der Fachinhalte sowie Textsortenkenntnisse (Tagebuch, Brief, Urkunde, Testament, Leserbrief, Flugblatt, Plakat etc.) miteinander in Beziehung gesetzt.

Konkrete Methoden zur Unterstützung (Auswahl)

  • Anforderungen und Arbeitsschritte einer Schreibaufgabe erschließen z. B. durch Zerlegen der Aufgabe, Bedeutungserklärung von Operatoren, Umformulieren in eigenen Worten
  • inhaltliche und sprachliche Erwartungen der Schreibaufgabe gemeinsam erarbeiten
  • Text in Grobstruktur als „Schreibplan“ gemeinsam erarbeiten
  • Wortlisten (z. B. mit notwendigen Fach- und bildungssprachlichen Begriffen) bereitstellen bzw. gemeinsam erstellen
  • unterschiedlichen Sprachgebrauch thematisieren und kontrastieren (Alltagssprache vs. fachspezifische Bildungssprache)
  • Wortgeländer (Grundgerüst aus Wort- und Satzelementen) bereitstellen bzw. gemeinsam erarbeiten
  • Satzteile/-muster erstellen bzw. bereitstellen oder Satz-/Textteile vorgeben und weiterschreiben
  • Text mithilfe eines Mustertextes, eines Fragerasters, eines Struktur- oder Flussdiagramms schreiben lassen
  • nicht-lineare Darstellung (Bilder, Grafiken, Statistiken etc.) in lineare Texte umgestalten
  • Texte ergänzen, erweitern und umschreiben (z. B. Fehlertexte)
  • Texte (gemeinsam) beurteilen und im Anschluss überarbeiten

Schreiben im Geschichts- und Politikunterricht

Im Unterricht der Fächer Geschichte und Politik kommen dem Schreiben unterschiedliche Funktionen zu:

  • etwas verstehen, sich über etwas klar werden:
    • Inhalte verstehen
    • Bezüge und Wirkungen nachvollziehen
    • unterschiedliche Perspektiven erkennen
  • mündliche Beiträge vorbereiten:
    • Teilnahme am Unterrichstgespräch
    • Präsentation von Arbeitsergebnissen
    • Referate
    • den eigenen Standpunkt formulieren und vertreten
  • den eigenen Lernerfolg nachweisen
    • in schriftlichen Überprüfungen
    • in mündlichen Beiträgen
    • in Geschichts- und Politikmappen und im Portfolio
  • Texte zur fiktiven Veröffentlichung verfassen:
    • Informationtexte schreiben
    • einen Lexikonartikel, Zeitungsartikel, Brief, Flugblatt, etc. gestalten

Sprechen

In den Fächern Geschichte und Politik stellen mündlich vorgetragene Präsentationen und Diskussionen einen zentralen Baustein der Unterrichtsdurchführung dar. In diesen Phasen, aber auch im Unterrichtsgespräch werden Fachinhalte erarbeitet, eigene Arbeitsergebnisse präsentiert und eigene Positionen entwickelt.

Die mündliche Kommunikation nimmt in diskursiven Aushandlungsprozessen einen besonderen Stellenwert ein. Schülerinnen und Schüler stehen dabei vor komplexen Herausforderungen, Argumente zu formulieren, Positionen gegeneinander abzuwägen, sich aufeinander zu beziehen und das eigene Urteil zu begründen.


Pertzel, Eva/schütte, Anna Ulrike (2016): Schreiben in Biologie, Geschichte und Mathematik (Klasse 5/6) Schriftlichkeit im sprachsensiblen Fachunterricht. Waxmann. Münster.

Zu "Lesen" und "Schreiben" vgl. Leisen, Josef (2010): Handbuch Sprachförderung im Fach – Sprachsensibler Fachunterricht in der Praxis. Varus-Verlag. Bonn.

Wochenschau (2020): Sprachbildung im Politikunterricht. 71. Jahrgang. Nr. 206. Juli 2020. Wochenschau Verlag. Frankfurt a.M.

Weiterführende Literatur:

Katharina Grannemann, Sven Oleschko,Christian Kuchler (Hg.) (2018): Sprachbildung im Geschichtsunterricht. Zur Bedeutung der kognitiven Funktion von Sprache. Waxmann. Münster.