Was sind Aufgaben und Ziele des Faches Geschichte? Entwicklung eines reflektierten Geschichtsbewusstseins!
Historische Bildung ist notwendig, um die Entstehung menschlicher Gesellschaften und deren Entwicklung in Zeit und Raum bis in die Gegenwart hinein zu verstehen. Untersucht wird dabei, wie Veränderungen gesellschaftliche Verhältnisse prägen und somit Urteilen und Handeln der Menschen und ihr Planen in die Zukunft beeinflussen. Im Geschichtsunterricht wird dies angebahnt mit einem methodisch geordneten Aufbau von Kenntnissen und Vorstellungen von historischen Ereignissen und Strukturen sowie der Erarbeitung historischer Entwicklungszusammenhänge, was letztlich zu einem Verständnis historischer Problemstellungen führt. Da die Einschätzung historischer Sachverhalte und deren Deutungen immer zeitlich bedingt und veränderbar sind, bedarf es der kritischen Auseinandersetzung mit ihnen. Dabei ist stets die Differenz von gegenwärtigen und historischen Normen zu berücksichtigen (Dimensionen des Geschichtsbewusstseins, z.B. Moralisches Bewusstsein).
Geschichte wird nicht als Sammlung von Fakten verstanden, sondern als ein aus der Gegenwart heraus gestelltes Fragen an die Vergangenheit. Ein auf diese Weise entstehendes reflektiertes Geschichtsbewusstsein lässt die historische Gebundenheit des Standortes erkennbar werden. Durch das Aufzeigen von Alternativen zum „Hier und Jetzt“ eröffnet die historische Bildung die Möglichkeit einer kritischen Würdigung anderer oder als fremd empfundener Strukturen und Gegebenheiten (Fremdverstehen und Alteritätserfahrung).
Kernanliegen des Faches Geschichte ist es, Schülerinnen und Schüler anzuleiten, ein reflektiertes Geschichtsbewusstsein auszubilden. Eine wichtige Bedeutung kommt hierbei der narrativen Kompetenz zu (Narrativität). Schülerinnen und Schüler werden befähigt, Geschichte erzählen zu können und Zusammenhänge zu eigenen Erfahrungen, Erwartungen und Orientierungen herzustellen. Das reflektierte historische Erzählen ist die Voraussetzung für das eigenständige Darstellen von Geschichte und für den kritischen Umgang mit Historiografie. Schülerinnen und Schüler setzen sich mit den wechselseitigen gesellschaftlichen, politischen oder wirtschaftlichen Beziehungen, Abhängigkeiten und Konflikten (Perspektivität, Problemorientierung), Menschen und Entwicklungen in der Vergangenheit auseinander, reflektieren und beurteilen diese in der Gegenwart (Urteilsbildung) mit Blick auf die Zukunft.
Das Fach Geschichte befähigt Schülerinnen und Schüler dazu, nachhaltig Orientierungswissen zu erwerben. Durch das Erlernen und sichere Anwenden fachspezifischer Arbeitsweisen und durch das Erproben fachspezifischer Methoden (Wissenschaftsorientierung/-propädeutik) überprüfen und verändern ggf. die Schülerinnen und Schüler bereits gewonnene Einstellungen sowie Präkonzepte und wenden die erworbenen Kompetenzen bewusst und selbstständig an. Die am Kompetenzerwerb orientierten Aufgabenstellungen berücksichtigen die individuellen Lernbedürfnisse und lassen verschiedene Lösungsansätze zu. Mithilfe von spezifischen Unterstützungsmöglichkeiten und differenzierenden Maßnahmen wird ein individueller Lernzuwachs aller erzielt (Differenzierung/individuelle Förderung).
Handlungsorientierte und unmittelbare Begegnungen mit Menschen und ihrem politischen, gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Wirken durch unterschiedliche Quellen und Medien, auch an außerschulischen Lernorten, unterstützen die Lernenden dabei, Orientierungswissen zu erwerben, ihre Kenntnisse und Fähigkeiten auf ihre Lebenswelt zu übertragen und selbstständig Lösungsstrategien zu entwickeln, um sich auf ihre Rolle als mündige Bürgerinnen und Bürger vorzubereiten. Der Umgang mit Behinderung und Diversity ist ein originäres Thema im Fach Geschichte. Somit leistet das Fach einen wichtigen Beitrag zur Inklusion, indem die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderung besondere Beachtung findet (Disability History).
Lokal- oder regionalgeschichtliche Zugriffe im Geschichtsunterricht und die Auseinandersetzung mit der sie umgebenden Geschichts- und Erinnerungskultur (z. B. Gedenktage, historische Jubiläen und Feste, Museen, Gedenkstätten, Filme, Computerspiele etc.) ermöglichen den Schülerinnen und Schülern, notwendige Grundlagen zu erwerben, um die Zeitdimensionen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in ihrer alltäglichen Lebenswelt miteinander zu verknüpfen und an der gegenwärtigen Geschichtskultur aktiv mitzuwirken.
Die stetige Auseinandersetzung mit weiteren Kulturen und die Einsicht in unterschiedliche Lebensbedingungen befähigt die Lernenden dazu, ein Verständnis für unterschiedliche Wertvorstellungen und somit für grundlegende Formen interkulturellen Lernens zu entwickeln (Fremdverstehen und Alteritätserfahrung).
Kompetenzorientierter Geschichtsunterricht
Die Ausbildung eines reflektierten Geschichtsbewusstseins erfolgt über den kompetenzorientierten Geschichtsunterricht. Die Grundlage des kompetenzorientierten Geschichtsunterrichts in Nordrhein-Westfalen bildet stets das im aktuellen Kernlehrplan verankerte Kompetenzmodell. Dieses weist vier Kompetenzbereiche explizit aus:
Dimensionen des Geschichtsbewusstseins
Das folgende Schaubild zeigt ein entwicklungsoffenes dynamisches Modell zu Dimensionen eines reflektierten Geschichtsbewusstseins. Bei der Planung von Geschichtsunterricht ist es wichtig, solche Dimensionen des Geschichtsbewusstseins und deren Kategorien gedanklich mitlaufen zu lassen, um didaktische Entscheidungen, wie Festlegung von Lernzielen und von zu fördernden Kompetenzen, begründen zu können. Geschichtslehrerinnen und Geschichtslehrer sollten sich dabei stets bewusst sein, dass dieses Modell an die Lebenswirklichkeit der Schülerinnen und Schüler angepasst werden muss: Weitere Dimensionen sind daher denkbar, zum Beispiel ein „Bewusstsein für Gedächtnis-Formen“. Ebenso bedürfen manche Kategorien der Erweiterung, zum Beispiel kann das Geschlechtsbewusstsein um die Kategorie „divers“ ergänzt werden.
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